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Töwerland

Wir fahren an die Nordsee! Genauer, wir fahren auf die ostfriesischen Insel Juist im niedersächsischen Wattenmeer.

Insel Juist

17 Kilometer lang aber nicht einmal einen Kilometer breit, ist Juist dennoch die längste in der Gruppe der Inseln, die aufgereiht vor der niedersächsischen Festlandsküste, entlang der Ostfriesischen Halbinsel liegen. Die Inselgruppe erstreckt sich über rund 90 Kilometer Länge von West nach Ost zwischen den Mündungen von Ems und Jade beziehungsweise der Weser, und zwischen 3,5 und 10 Kilometer dem Festland vorgelagert.

Am südwestlichen Ende der Insel liegt die Vogelinsel Memmert, sowie eine Insel mit dem Namen Kachelotplate, der man beim Entstehen zuschauen kann - eine Anhäufung von Hochsand, eine Ablagerung der Gezeiten. Juist liegt zwischen zwei Strömungsrinnen: Im Westen der östliche Mündungsarm der äußeren Ems und im Osten ein Seegatt, der Juist und Norderney voneinander trennt.

Quelle: Wikipedia

Anreise

Wir reisen mit der Bahn an und bummeln gemütlich mit dem Regionalexpress durch das Emsland. Bis wir in Emden dann noch unvorhergesehen für die letzten Kilometer auf die Regionalbahn umsteigen müssen. Wir verpassen somit die letzte Fähre in Norddeich-Mole, denn heute Nachmittag ist leider die Wassermenge des Tidenhubs nicht ausreichend. Bei Ebbe fährt nunmal kein Schiff nach Juist, weil es einfach zu kostspielig ist, die Fahrrinne ständig neu auszubaggern ...

Eine andere Welt

Hier gehen die Uhren anders

Der Insel Flieger

Nun fahren eben mehrere Taxis zum Flugplatz Norden-Norddeich und wir checken zum kürzesten Flug der Geschichte ein. Mit den 'Insel-Fliegern' rollen wir auch kurz danach mit einer Britten-Norman BN-2 Islander auf die Startbahn und drehen schon während dem Abheben nach Westen ab.

Die Insel liegt natürlich in Sichtweite und bei nur elf Kilometer Entfernung setzen wir schon wieder zur Landung an. Bei Ebbe kann man jetzt gut hier und da die Torfrinnen ehemaliger Siedlungen aus dem 14. Jahrhundert erkennen. Je nachdem, was das Watt für kurze Zeit freigibt.

Der Achtsitzer rollt neben einem Stahlcontainer aus, wir nehmen unser Gepäck in Empfang und entrichten erst einmal die fällige Kurtaxe. Der Flugplatz liegt ‘vor dem Deich’ und so laufen wir durch die Deichschart, die man bei Sturmfluten mit Stahltoren verschließen kann. Gegenüber liegt ein Hangar, auf dem in großen Lettern geschrieben steht: No Fuel, No Oil/No Maintainance Available! Klare Ansage …

Sofortige Entschleunigung

Auf dem Platz davor stehen schon einige Inseltaxis – Pferdewagen mit zwei Tieren im Gespann! Und so benötigen wir auch knapp eine halbe Stunde, während wir uns auf der Flugplatzstraße durch die Dünen schlängeln, bis wir den Ortskern nahe unserer Unterkunft erreicht haben. Und wie schnell ein schaukelnder Pferdehintern den Stress der weiten Welt vergessen lassen kann! Entschleunigt und sehr entspannt richten wir uns in unserer neuen Bleibe für die nächsten Tage ein und hüpfen noch kurz in den Supermarkt gegenüber, um uns mit dem Notwendigsten einzudecken.

Wir erkunden den Ortskern und müssen aufpassen, nicht von Fahrrädern an- oder überfahren zu werden. Auf dieser Insel gibt es keine Fahrzeuge – außer den Notdiensten natürlich – sonst wird alles mit Pferd, elektrisch oder durch Muskelkraft gezogen und geschoben.

Am Fährhafen z.B. stehen dutzende bunte Fahrradanhänger, oft mit den Namen der Pensionen oder Unterkünften beschrieben und verziert, mit denen dann die Inselgäste ihr Hab und Gut kreuz und quer durch die roten Klinker-Straßen der versch. Ortsteile schieben.

Das Ostdorf ist gefühlt der neuere Teil mit größeren Ferienanlagen & Appartments und das Westdorf wird mit einer ca. einen Kilometer langen Straße mit dem Ortsteil Loog verbunden. In dieser Siedlung sind Jugendherbergen und Unterkünfte für größere Familien zu finden, wie auch die ganzen Höfe für den vierbeinigen Fuhrpark des Inselverkehrs.

Im Ortskern ist der Glanz vergangener Tage zu bestaunen. Die großen Hotels sind hier am Platz, wie auch eine Bühne für ein Kurkonzert. Davor ein kleiner Teich, der vor allem von Kindern bevölkert wird, denn hier können kleine Boote in jeglicher Bauart zu Wasser gelassen werden!

Über die Strandstraße erreichen wir die große Strandpromenade, auf der emsiges Treiben herrscht. Von hier aus führen in regelmäßigen Abständen Wege durch die Dünen an den Strand. Die letzten Meter führen über Holzstege, bis man im weichen, gelben Sand der Insel steht.

Wir mieten uns für die nächsten Tage einen Strandkorb, richten diesen mit dem Wind aus und beziehen unser neues Objekt. Micha leiht sich eine Schaufel vom Verleih und befestigt das Terrain erst einmal mit einer ordentlichen Sandburg. Hier ist es nicht nur erlaubt, sondern auch gerne gesehen und so schauen wir zufrieden auf das auflaufende Wasser.

Muster tanzen über den Strand.

Alles scheint hier in Bewegung – Wolken, Wasser und sogar der Sand unter den Füßen.

Noch ahnen wir nicht, wie nass wir in Kürze sein werden, als wir das Wetter beobachten, das sich über der Domäne zusammenzieht.

Domäne Bill & Billriff am Westende

Das Wetter ändert sich viermal am Tag – so sagt man uns. Also, eine präzise Vorhersage gibt es anscheinend nicht. Wir nehmen heute unsere Fahrräder und machen uns bei verhangenem Himmel auf den Weg zum Westende der Insel. Knapp 6 km zur Domäne Bill. Hier und da bricht die Sonne durch die Wolken und lässt die Salzwiesen leuchten.

Wir lassen die Räder an der Domäne und beschließen, an das Ende des Billriffs zu laufen, also quasi an die Kante der Insel. Dort können über wir über die Kachelotplate bis nach Borkum schauen und man könnte meinen, dass man bei Niedrigwasser direkt hinüber laufen könnte. Aber der Eindruck täuscht gewaltig! Der Priel der Juister Balje / Haaksgat ist tief und die Strömung gewaltig. Alle acht Stunden zwängen sich gewaltige Wassermassen durch diese Engen, um das Wattenmeer zu fluten oder wieder freizugeben.

Wir stehen quasi direkt an der West-Kante der Insel und man könnte meinen, dass man bei Niedrigwasser das Priel queren könnte.

Im Hintergrund fahren riesige Lastwagen und befestigen diesen Teil der Insel unablässig mit Sand. Durch Wind und Wasserströmung von Westen, wird der Juister Strand und die Dünen unablässig abgetragen. Gerade hier an der Bill (Westende der Insel) wanderte die Abbruchkante ca. 4 Meter im Jahr nach Süden. Diese Entwicklung kommt durch eine Verlagerung der Strömung und eine nicht ausgeglichene Sandbilanz zustande, welche die Inselgemeinde entgegenzuwirken sucht.

Die Verlagerung des Sandes ist ganz gut an der Entstehung des Naturschutzgebietes an der Ostseite der Insel zu beobachten. Vor Jahren entstand durch einen vorgelagerten Hochsand allmählich eine feste Verbindung zur Inselspitze.

Wir machen uns auf den Rückweg an die Domäne und werden vom Wetter überrascht. Auf einmal öffnen sich die Schleusen des Himmels und man sollte solch eine Wassermasse ja nicht für möglich halten. Völlig durchweicht, klamm und verfroren, wärmen wir uns erst einmal mit einem Eintopf auf.

17 Kilometer Sandstrand.

Die Nordseite der Insel ist bei ablaufenden Wasser übersäht mit zahlreichen kleinen Gezeitentümpeln.

Der Hammersee

Die Petriflut von 1651 durchbrach die nördlichen Randdünen im Bereich der Kirche und des heutigen Hammersees, der auf eine gemeinschaftlich genutzte Weidefläche zurückgeht und teilte die Insel in zwei annähernd gleichgroße Teile.

Der Durchbruch erreichte im Laufe der Jahre eine Breite von rund zwei Kilometern. Erst hundertzwanzig Jahre später hatte man begonnen, Lücke zu schließen – was weitere 100 Jahre in Anspruch nahm. Bei einer Sturmflut brach das Wasser 1932 durch den nördlichen Deich, überflutete das Gelände dahinter, sammelte sich an der tiefsten Stelle der Insel und floss eben nicht mehr ab. Heute ist es ein leicht brackiger Süßwassersee mit einem dichten Schilfgürtel, umgeben von Dünenketten und beherbergt ein einzigartiges Biotop und den Rückzugsort für zahlreiche Vögel und Kleintiere.

Die Wattwanderung

An der unteren Deichkante, neben dem alten Bahnhof, ist der Treffplatz für unsere Wattwanderung. Wattführer Heino Behring begrüßt uns in kurzen Hosen, ohne Schuhe, mit einem Edelstahlstock und einer Wurmgabel.

Selten haben wir einen Menschen kennen gelernt, der so leidenschaftlich bei der Sache ist und alle Interessierten begeistert mitnimmt. Von Anfang an. Also Schuhe aus und rein in den grauen Schlick. Und so folgen wir ihm in einen einzigartigen Naturraum, zwischen Insel und Festland. Nach ein paar Metern patschen wir auch schon durch geriffelte Sandmuster, auf denen noch leicht das Wasser steht. Es kommen die ersten Wurmhäufchen, da fängt das Watt ein bisschen an zu leben, zeigt uns Heino. Es sind Hinterlassenschaften des Sandpierwurms, der wichtigste Wurm überhaupt im Wattenmeer – der frisst den Boden und sorgt für eine gute Sauerstoffsättigung.

Wir lassen ein Einmachglas mit einer Mischung von trüben Prilwasser und einer handvoll Herzmuscheln zurück und wollen auf dem Rückweg noch mal vorbei schauen. Jetzt lernen wir erst einmal, wie man eine Krabbe richtig greifen kann, geben Muscheln einen Namen und schauen uns die Biomechanik dieser Schalentiere genauer an. Und alles mit einer gehörigen Portion Humor, so dass auch alle Kinder mitmachen können und wir alle Spaß haben.

Heino hält plötzlich an, geht auf die Knie und fängt an zu graben. Nachdem er bis zum Ellebogen im Sand steckt, präsentiert er uns behutsam die größte Muschel des Wattenmeers. Die Sandklaffmuschel.

Auf dem Rückweg kommen wir an unserem Einmachglas zurück und staunen nicht schlecht - das Wasser ist glasklar und hat nun Trinkwasserqualität, was wir natürlich probieren können. Klar, immer noch salzig aber sauber!

Mit der Flut und genügend Wasser unter dem Kiel geht es dann 90 Minuten durch die schmale Fahrrinne nach Norddeich/Mole.

Die ehemalige Inselbahn

Die Insel hat einen Bahnhof. Der ‘Alte Bahnhof’ beherbergt einen Gastronomiebetrieb, eine Bankfiliale und ein kleines Museum über das Wattenmeer.

Bevor die Frisia Fähren in den heutigen Hafen fahren konnten, mussten die Schiffe weit draußen in der natürlichen Fahrrinne der Juister Balje vor Anker gehen. Die Inselgäste stiegen dann an der Landungsbrücke, einem komplett hölzernen Steg, in die eingleisige, meterspurige und nicht elektrifizierte Bahnstrecke um und rumpelten dann mit zwei, drei Wagen, seit 1952 gezogen von einer Lok Heinrich der Baureihe 329, ca. zwei Kilometer gen Festland und dann eben in den besagten Inselbahnhof. Man erzählt sich, dass die braungebrannten Inselgäste die Neuankömmlinge mit den Worten: ‘Oh, wie bleich’ begrüßt hätten …

Der schönste Flecken Sand im Wattenmeer

Eine Reise zurück in der Zeit

Auf der kleinen Nordseeinsel kann man wunderbar den Stress, den Lärm und vor allem die Hektik des Alltags hinter sich lassen. Und zwar unmittelbar in dem Augenblick, in dem man die Insel betritt.